von Mark Whitwell
In einer mondhellen Nacht im Jahr 1973 stand ich auf einem Dach in Madras, Tausende von Meilen von meiner Heimat im Südpazifik entfernt. Nachdem ich mich mit meinen Lehrern Krishnamacharya und Desikachar getroffen hatte, war ich plötzlich von einem Gefühl der Verwunderung erfüllt. Es war erhaben: ein tiefes, spontanes Gefühl von Wohlbefinden, Glückseligkeit und Liebe. Ich fühlte mich vollkommen genährt, mein ganzer Körper war vollständig mit allem in der natürlichen Welt sowie mit jedem um mich herum verbunden.
Was hatte dieses wunderbare Gefühl ausgelöst? Es gab keinen äußeren Grund: kein Mädchen, keine Drogen, kein Schlag auf den Kopf mit einer Pfauenfeder von Swami “Alleswisser-ananda”. Und doch war ich da, unter Vollmond und unendlich vielen Sternen, glückselig lebendig und der einfachsten Erkenntnis gewiss. „Dieser Körper liebt seinen Atem“, flüsterte ich den Grillen zu.
Ich spürte, dass die Liebe zum eigenen Atem die grundlegendste Intimität ist, die es gibt und sie ist für jeden zugänglich. Man muss weder besonders klug sein, noch über spezielles oder geheimes Wissen verfügen. Eine innige Verbundenheit mit dem eigenen Atem ist für jeden möglich. Und diese grundlegende Intimität ermöglicht die Liebe zu allem anderen. Sie ist der Ausdruck der vollkommen empfänglichen Stärke in dem weiblich-männlichen Zusammenspiel der Natur, das sich im Ein- und Ausatem zeigt. Sie ermöglicht die glückselige Polarität in allen intimen Beziehungen.
In den letzten Jahren habe ich dieses Yoga – die grundlegende Umarmung des Lebens durch die Intimität/Vertrautheit mit Körper und Atem – mit Menschen aus verschiedenen Ländern und Gesellschaftsschichtengeteilt. Uns alle eint die Tatsache, dass wir atmen. Auf meinem Weg habe ich schmerzlich festgestellt, dass die Beziehung zu Körper und Atem (und damit zum Leben) bei fast allen Menschen beeinträchtigt ist. Überlastung, schmerzhafte Erfahrungen, der Druck, immer besser sein zu müssen, und die ständige Geschäftigkeit der modernen Welt führen dazu, dass die meisten von uns die ständig präsente nährende Kraft des Lebens, die uns atmet und die wir sind, nicht spüren. Wir leiden unter der Illusion, dass wir vom Leben, Gott, der Natur und ihrer nährenden Kraft verlassen worden sind.
Ich habe beobachtet, wie viele unter Schmerzen und Störungen in ihrer Sexualität und ihren Beziehungen leiden, die als Folge dieser eingebildeten, aber schmerzhaften Trennung entstehen. Wir können uns nicht mit anderen verbinden, wenn wir von uns selbst und der Welt abgeschottet sind.
Im Gegenzug habe ich erlebt, wie Tausende von Menschen weltweit, Frauen und Männer – in ihren Beziehungen gestärkt wurden, indem sie begannen, an ihrem natürlichen Zustand teilzuhaben, angefangen bei der Umarmung ihres eigenen Atems. Durch eine angemessene Praxis lernen die Praktizierenden, die Einheit der Gegensätze in ihrem eigenen System zu spüren – eine Stärke, die empfänglich ist – und lösen die schmerzhaften Konditionierungen der männlich-weiblichen Dynamik auf.
Wenn ich mich umschaue und das große Durcheinander sehe, empfinde ich großes Mitgefühl für alle Beteiligten und weiß, dass es für sie einen praktischen Weg gibt, mit dem Leben und der Kraft ihrer eigenen Realität vertraut zu werden. Es ist eine wahre Freude, Menschen zu treffen, die damit beginnen möchten zu praktizieren oder bereits praktizieren, um so etwas Praktisches für sich selbst zu tun und die toxische Dynamik zu beenden.
Ich hoffe, dass sich alle dazu inspirieren lassen können, die praktische Hilfe in Anspruch zu nehmen, die es gibt, um unsere Gesellschaft aus dem Leiden herauszuführen. Es ist mir wichtig, weil mir die Menschen wichtig sind. Die Weiterentwicklung von der derzeitigen schwierigen männlich-weiblichen Situation hin zum Frieden und zur Kraft des natürlichen Zustands ist möglich, und sie ist notwendig.
Immer mehr von uns erkennen, dass die Männlichkeit, wie wir sie kennen, in einer Krise steckt. Begriffe wie „Patriarchat“ und „Frauenfeindlichkeit“ sind nicht mehr nur abstrakte Konzepte, gegen die Studenten protestieren; sie werden als allgegenwärtige kulturelle Normen anerkannt, die großen Schmerz und Funktionsstörungen für alle Menschen verursachen. Die alltäglichen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen, Belästigung und Ungleichheit werden nun einer ernsthaften öffentlichen Diskussion unterzogen, und das ist längst überfällig.
Aufgrund des Traumas, Schmerzes, Scham und anderer schwieriger Emotionen, die damit einhergehen, neigt das Gespräch jedoch oft dazu, sich auf Schuldzuweisungen und der Suche nach einem Sündenbock zu fokussieren. Es gibt zahlreiche Informationen über das schädliche Verhalten von rücksichtslosen Männern wie Harvey Weinstein sowie Analysen darüber, warum dieses Verhalten so verwerflich ist. Es gibt viele empörte Rufe nach einem anderen Verhalten. Und es wird sogar anerkannt, dass solche Männer lediglich besonders toxische Beispiele für ein Problem sind, das sich durch die gesamte Gesellschaft zieht, und es sich nicht nur um individuelle moralische Fehler handelt.
Aber warum ist Männlichkeit, wie wir sie kennen, so toxisch? Und was können wir tatsächlich proaktiv tun, um zu heilen und weiterzugehen? Wenn wir die Ursachen nicht verstehen, werden wir die Krankheit nicht heilen können. Moralische Forderungen haben nicht die Kraft, einen wirklichen Wandel herbeizuführen, auch wenn sie noch so berechtigt und überzeugend sind. Wir müssen untersuchen, wie die Männlichkeit, wie wir sie kennen, auf einer systemischen Verleugnung und einem Missbrauch des Weiblichen beruht – womit nicht nur Frauen gemeint sind, sondern die gesamte offene, empfängliche, wilde, verkörperte, kreative Kraft des Lebens. Indem wir das Weibliche über so viele Jahrhunderte hinweg verleugnet haben, haben wir eigentlich das Leben selbst verleugnet, sowohl in uns selbst als auch in anderen und in der lebendigen, atmenden “Mehr-als-menschlichen-Welt”.
Zum Wohle aller brauchen wir dringend eine neue Männlichkeit, die auf Kooperation und Intimität statt auf Trennung und Objektivierung beruht, und wir brauchen die praktischen Mittel, um dies in die Realität umzusetzen, und nicht nur eine schöne Idee. Wir müssen wieder lernen, unser eigenes Leben zu empfangen, damit wir auf natürliche Weise das eines anderen empfangen können.
Um die Debatte „Männer gegen Frauen“ zu vermeiden, besinnen wir uns auf das yogische Verständnis. Dabei erkennen wir, dass „männlich“ und „weiblich“ lediglich Begriffe sind, die zwei Kräfte beschreiben, die überall in wechselseitiger Polarität existieren, ähnlich den positiven und negativen Kräften in jedem Atom. Wir alle haben beide Kräfte in uns in perfekter Balance, unabhängig von unserem Geschlecht oder unserer Geschlechtsidentität. Wir alle stammen von Mutter und Vater ab. Jeder von uns enthält das männlich-weibliche Gleichgewicht des Lebens – Stärke und Empfänglichkeit – in perfekter Einheit.
Eine Diskussion über toxische Männlichkeit weist also nicht nur auf ein Verhaltensproblem bei Männern hin. Das Problem ist viel größer: Die Menschheit hat seit langem die Angewohnheit, Männlichkeit mit Männern und Weiblichkeit mit Frauen zu assoziieren und dann das Männliche dem Weiblichen vorzuziehen. Das Ergebnis ist für alle Beteiligten ein großes, schmerzhaftes Durcheinander.
Unsere Vorgänger wussten nichts mit der Kraft und Verletzlichkeit des wilden Weiblichen anzufangen. Aufgeschreckt durch diese unkontrollierbare, sich ständig verändernde Welt, versuchten sie, das Weibliche zu kontrollieren, ihm zu entfliehen – dem Körper, der Welt, den Gefühlen und der Realität selbst zu entkommen. Anstatt friedlich am großen Mysterium von Leben und Tod teilzuhaben, schufen sie Mythen von Ewigkeit und Transzendenz und abstrahierten sich vom Leben.
Gott befand sich im Himmel, und sie waren diejenigen, die das Zugangsrecht hatten. Religiöse und politische Institutionen haben dieses ängstliche Streben nach Dominanz über die lebendige Welt gefördert und dabei die Erde, die Frauen, die indigenen Völker und sich selbst raubgierig kontrolliert.
Sie glaubten und lehrten, die Welt sei tot, mechanisch und dazu da, benutzt und missbraucht zu werden. Diese Dogmen haben sich tief in unsere kollektive Psyche eingegraben und uns von der erhabenen regenerativen Kraft des Lebens getrennt, die überall vorhanden ist und die zu spüren unser Geburtsrecht ist. Die Angst vor dem Tod hat zu einer Angst vor dem Leben geführt, und wir haben Getrenntheit und Gefühllosigkeit geerbt.
Die moderne Form dieser Verleugnung zeigt sich in unseren geschlechtsbezogenen Normen und Erwartungen. Jungen Männern wird beigebracht, dass Gefühle schwach und Empfänglichkeit unmännlich ist, dass die richtige Einstellung zum Leben eine harte Aggression ist und dass Intimität nur durch Manipulation, Besitz und Kontrolle des Weiblichen erreicht werden kann. Vom erzwungenen Zölibat bis zur pornografischen sexuellen Überbetonung bleibt der Drang zu dominieren und zu kontrollieren derselbe.
Die sozial definierte und durchgesetzte Männlichkeit ist eine dysfunktionale Idee, die Männern die Erfahrung von weiblicher Stärke und echter Intimität verwehrt.
Stärke ohne Empfänglichkeit und Gefühl ist überhaupt nicht stark, sondern eher destruktiv und brüchig – wie Krieg, als die extremste Ausprägung von Destruktivität. Echte Stärke, echte Männlichkeit im Gleichgewicht, ist in der Lage, das Weibliche zu empfangen und zu unterstützen, anstatt es zu kontrollieren oder zu dominieren.
Sexuelle Übergriffe und andere Formen dysfunktionalen Sexualverhaltens sind auf diese Verleugnung des Weiblichen zurückzuführen. Wenn einem Menschen nicht die Möglichkeit gegeben wird, die Kraft seines eigenen Lebens zu spüren, die bereits gegeben und hundertprozentig beständig ist, kann dies zu verschiedenen verzerrten Einstellungen zum Thema Sexualität führen. Zum Beispiel dem Streben danach, Sex zu kontrollieren und zu haben. Die ganze Zeit über war Sexualität uns als unsere eigene Natur frei gegeben, aber wir versuchen zu erreichen, was wir nicht fühlen.
Die frauenfeindliche Indoktrination und die generationenübergreifende Programmierung reichen tiefer als feministische oder spirituelle Ideen, die man vielleicht im späteren Leben konzeptionell erwirbt. Viele Männer machen die schmerzliche Entdeckung, dass sie mit ihrem eigenen Verhalten den uralten Gebrauch und Missbrauch des Weiblichen in die Tat umgesetzt haben, trotz ihrer besten bewussten oder erklärten Absichten. Gute Ideen und moralische Lehren reichen nicht aus, um die tiefgreifende Gewöhnung zu überwinden, die stattgefunden hat.
Um voranzukommen und den kollektiven und individuellen Schmerz zu heilen, müssen wir über Schuld, Tadel und Wut hinausgehen. Wir müssen über die ganze Dummheit der Umstände trauern und Mitgefühl für uns selbst und andere aufbringen. Es erfordert Mut, sich einzugestehen, wie sehr moderne Kultur uns gefühllos und distanziert gegenüber uns selbst, den anderen und der Realität gemacht hat, unabhängig davon, ob diese Distanzierung zu offenkundigem Missbrauch geführt hat oder nicht.
Sobald Männer den Mut aufbringen, zu erkennen, wie sie zur frauenfeindlichen Kultur, die ihnen auferlegt wurde, beigetragen haben, benötigen sie praktische Mittel, um sich in eine völlig andere Richtung als die der patriarchalischen Normen zu bewegen, die sie geerbt haben.
Sie brauchen die Werkzeuge, um sich von unkonstruktiven Schuldgefühlen und der Unzufriedenheit zu befreien, die sie empfinden, weil ihnen eine erfüllende Intimität mit dem Leben oder mit einem anderen Menschen verwehrt wurde.
Authentischer Yoga ist dieses praktische Mittel: das einfache, uralte System, mit dem jeder Mensch lernen kann, mehr zu fühlen und empfänglich zu sein für die große wilde Kraft des Lebens in sich selbst und überall.
Die große Tradition des Yoga bietet uns so viel mehr als das körperliche Workout oder das konzeptionelle „spirituelle“ Spiel, auf das es leider oft reduziert wird. Echtes Yoga ist empfängliche Stärke, die Teilhabe an der Vereinigung von Gegensätzen, das Zusammenspiel von Mann und Frau als Ausdruck der Kraft, Intelligenz und Schönheit des Lebens selbst.
Männer können lernen, dass Empfänglichkeit stärker ist als bloße Stärke allein, und es ist Yoga, das diese tiefgreifende Veränderung bewirkt.
Bei diesem Yoga geht es nicht darum, irgendetwas zu erreichen, sondern darum, uns an das zu erinnern, was bereits da ist und durch jahrhundertelange patriarchalische Distanzierung verdunkelt wurde.
Es ist das Geburtsrecht eines jeden Mannes und einer jeden Frau, alles zu fühlen, was es zu fühlen gibt; und wenn eine Person in der Lage ist, das Leben durch vollständiges Fühlen zu empfangen, wird die Sexualität real, respektvoll, ehrlich, rechtmäßig und eine reine Kommunikation der Liebe sein – die Aktivität des Herzens. Dies ist möglich.
Auch Frauen können dieses praktische Mittel der Intimität mit dem Leben erlernen und von dem Schmerz befreit werden, ständig wachsam sein und sich gegen rücksichtslose Männer verteidigen zu müssen, sowie von dem Schmerz, der durch den Mangel an erfüllender Intimität entsteht. Eine authentische Yogapraxis befähigt Frauen, potenzielle Partner zu erkennen, die die Kunst der Empfänglichkeit wiedererlernt haben – als die wahre Kraft des Lebens – und sich auf Partnerschaften einzulassen, frei von den Traumata früherer Erfahrungen.
Aus diesen praktischen Mitteln entsteht der neue Feminismus (und Maskulinismus): das Zusammenspiel von Männern und Frauen als gleichwertige und gegensätzliche Partner in einem kontinuierlichen wechselseitigen Austausch, wobei jeder den anderen ermächtigt. Dies ist die generative, nährende Kraft des Lebens selbst, die Dynamik, die bereits in jedem Körper steckt, unabhängig von sexueller Präferenz oder Geschlechtsidentität.
Dies ist keine Herabsetzung des früheren Feminismus, dessen berechtigte Wut ein notwendiger Überlebensmechanismus war, der allen Frauen und Männern den Weg in die Freiheit geebnet hat. Wir sind jetzt in der Lage, alle notwendigen Phasen der Emotionen zu beobachten, zu verstehen und zügig zu durchlaufen: Angst, Wut, den Schmerz hinter der Wut und schließlich Trauer über die unnützen Umstände, die der gesamten Menschheit zugemutet wurden. Der Schmerz ist so deutlich geworden, dass er nicht länger ignoriert werden kann.
Wir haben ein großes Durcheinander geerbt, aber wir haben jetzt das Wissen und die Werkzeuge, um direkt an unserem Leben teilzuhaben, die schweren Schichten der Dysfunktion zu durchschneiden und die sexuelle Intimität wieder an ihren rechtmäßigen Platz als eine Funktion des Herzens zu bringen. Dies ist mein Plädoyer: dass wir – durch das Üben von Gefühl und Verbundenheit – zur Erde und zu unserem Körper zurückkehren, den gewaltsamen Kampf der Menschheit gegen das Weibliche endlich beenden und dem Männlichen seine Würde und friedliche Stärke zurückgeben. Nur so können wir das Ende von Frauenfeindlichkeit und Missbrauch erleben.